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Alexander Binder - Interview


Viele zeitgenössischen Künstler versuchen die Realität möglichst unbeeinflusst abzubilden, Du hingegen überschreitest in deinen Arbeiten bewusst die Grenze zwischen Realität und Traumbildern. Welchen Hintergrund hat das?
Vielleicht liegt das genau an dem von Dir erwähnten Punkt: Die zeitgenössische Kunst hat sich zum Großteil auf einen schlau beobachtenden und die Realität neu collagierenden Standpunkt fokussiert. Das bringt oftmals spannende, überraschende Positionen zu Tage - ist für mich aber manchmal auch einfach nur langweilig. Meine künstlerischen Vorbilder kommen allesamt aus der von mystischen Fantasy-Themen beeinflussten Metal-Subkultur, der Romantik und dem mittelalterlichen Flandern. Für diese Künstler gehört(e) das Überhöhen des Natürlichen und die Suche nach dem Traumhaft-Phantastischen in der Welt zum Schaffensprozess. Caspar David Friedrichs Bilder sind ja nicht nur handwerklich saubere Abbildungen des Sichtbaren, sondern stets transzendente Überhöhungen der Realität. Er fängt Angst oder die Erhabenheit der Natur in seiner subjektiv gesteigerten Perspektive ein.

Deine Fotoserien strahlen eine starke Verbindung zur Natur aus, was sicherlich viel mit deiner Kindheit im Schwarzwald zu tun hat. Möchtest Du auch den Blick des Betrachter für die Natur sensibilisieren?
Das ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit. Der moderne Mensch ist ja in Wirklichkeit ein ziemlich armer Mensch. Reich an tausenden medialen Sinneseindrücken, aber total arm an echten, körperlichen Erfahrungen. Wir werden tagtäglich mit tausenden Bildern bombardiert - von der tosenden Brandung bis zum idyllischen Waldmotiv. Aber wer hat die Natur, die beissende Kälte des Wassers oder die melancholische Stille des Waldes morgens um halb fünf je selbst erfahren? Ich bin auf gewisse Weise natürlich ein Technik-Nerd, habe in den letzten Jahren aber immer mehr die sinnliche Qualität solcher Naturerlebnisse für mich entdeckt. Es ist einfach beeindruckend, wenn man allein inmitten der vulkanischen Einöde Islands steht und ein tosender Wasserfall den Boden beben lässt. Das erdet einen im ganz wörtlichen Sinne - und etwas dieser Verbindung zur Natur möchte ich dem Betrachter auch in meinen Bildern mitgeben.

Deinen Arbeiten zeigen viele okkulte und psychedelische Themen, glaubst Du an Übersinnliches?
Fox Mulder aus Akte X hatte in seinem Büro immer so ein tolles Plakat hängen, das meine Einstellung zu dem Thema gut zum Ausdruck bringt: I WANT TO BELIEVE. Ich bin natürlich ein Mensch unserer Zeit und mein rationales Bewusstsein sagt mir, dass es keinen Yeti, kein Monster von Loch Ness, keinen Baphomet und keine Dämonen gibt. Aber etwas Inneres in mir rebelliert immer stärker gegen diese neuzeitliche, pseudo-wissenschaftliche „es-gibt-für-alles-eine-logische-Erklärung“ Mentalität, die grundsätzlich darauf hinausläuft, dass man das Fantastische, das Surreale und Okkulte stets entlarvt und zeigt, dass alles doch völlig durschaubar und öde ist. Von daher beschäftige ich mich sehr gerne mit Themen, bei denen es wirklich schwer fällt, solide rationale Erklärungen zu finden. Nahtoderfahrungen und Formen der Besessenheit sind solche Phänomene. Vermutlich werden die Ursachen nicht bei irgendwelchen Geistern liegen - aber sie führen uns in Grenzbereiche der Psychologie und der Hirnforschung. Und ich neige dazu, zu glauben, dass es dort Kräfte und Energien gibt, die wir heute nicht vollumfänglich verstehen.

Vermisst Du das Okkulte in der zeitgenössischen Kunst?
Die zeitgenössische Kunstwelt nehme ich mittlerweile nur noch aus meiner ganz subjektiven Brille wahr und entdecke einige Künstler, die sich mit dem Okkulten und dem Mystischen intensiv auseinandersetzen. Gerade in der Fotografie scheint der „New Mysticism“ ein relevantes Thema zu sein. Es spielt sich eben eher in den Randregionen der zeitgenössischen Kunst oder auch benachbarten Ausdruckstformen, wie z.B. der Musik ab. Das ganze Hype-Genre „Witch House“, mit Bands wie Salem, ist ja nichts anderes als ein Spiel mit dem Okkulten und der Suche nach Dingen, die über unseren alltäglichen Realismus-Horizont hinausgehen.

In einem früheren Interview erwähntest du „Memento Mori“, ein Ausdruck den man mit dem Christentum verbindet. Wie stehst Du zur Religion?
Ich bin nicht getauft. Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nicht an die Kirche. Wohl fasziniert mich aber der ganze Popanz, der mit der Religion verbunden ist. Das Dramatische, das Selbstherrliche, das Apokalyptische, das Größenwahnsinnige und das Absolute, das für mich gerade der Katholizismus ausstrahlt. Diese Religion hat Ikonen, Symbole und Geschichten hervorgebracht die man nicht so schnell vergisst.

Deine Fotografien wirken auf den ersten Blick analog, werden jedoch in Wirklichkeit mit digitaler Technik aufgenommen. Was bedeutet Dir dieser Kontrast zwischen Aufnahmemedium und Ergebnis?
Mittlerweile erhält man ja in jedem Discounter Digitalkameras, die in der Lage sind absolute Top-Bilder zu schaffen. Unglaublich scharf, detailgetreu und voller lebendiger Farben. Von daher empfinde ich es als keine besondere persönliche Herausforderung, mit durchschnittlich-perfekten Fotografien zu glänzen. Was mich reizt ist vielmehr der Missbrauch des Digitalen. Quasi das Bandrauschen des analogen Tapes ins MP3 File zu transportieren. Ganz nebenbei hat das auch einige handwerkliche Vorteile: Durch die Kombination der Digitalfotografie mit dem Look des Analogen, verbindet sich das Beste aus beiden Welten. Ich kann Hunderte Bilder pro Session aufnehmen und erlebe dank überforderter Kamera-Sensoren trotzdem ständig neue Überraschungen im Bezug auf das Resultat.

Wie kann man sich den Entstehungsprozess der Fotografien vorstellen? Planst Du deine Fotosessions oder läuft es auf Improvisation hinaus?
Ich beschäftige mich anfangs natürlich sehr intensiv mit einem Thema oder manchmal auch nur mit einem Gedanken. Aber die eigentliche Entstehung der Bilder ist völlig amateurhaft, chaotisch und ungeplant. Das als Improvisation zu bezeichnen, wäre schon fast eine Beleidigung des Begriffs. Meist nehme ich ein paar Freunde, meine Freundin oder meinen 66 Jahre alten Vater mit sowie eine Tasche voller Requisiten. Und dann entstehen die Dinge sehr zufällig. Je nach Wetter, Laune, Gesprächsthema oder Situation entwickeln sich spannende Fotoszenarien - und manchmal werden die Bilder auch nur flach und uninteressant. Wenn mitten beim Fotografieren plötzlich eine Horde Wildschweine auftaucht oder man den toten Körper eines Rehs im Unterholz entdeckt, dann entwickelt sich eine Stimmung, die man geplant gar nicht schaffen kann.

Hat sich Deine Arbeit im Laufe der Zeit verändert? Wie stellst Du dir deine Zukunft als Fotograf bzw. Künstler vor?
Auf der handwerklichen Ebene wird man natürlich routinierter, schneller und hat klarer vor Augen, was man möchte. Neben diesem rein umsetzungstechnischen Aspekt hat sich bei mir nebenbei auch ein festes formales Vokabular entwickelt, das wiederkehrende Konstanten – wie z.B. mein Regenbogenlicht – etabliert. Inhaltlich bemerke ich, dass mein Interesse für das Okkulte erfreulicherweise nicht dazu geführt hat, dass ich mehr weiß, sondern weniger. Oder anders gesagt: Dadurch dass ich mich sehr intensiv mit Geschichten, Figuren, Symbolen und Hintergründen auseinandersetze, entdecke ich immer neue, spannende Aspekte aus diesem Themenkreis. Von daher glaube ich, dass mir die Geschichten nicht ausgehen werden. Im Bezug auf meine Zukunft als Künstler hoffe ich, dass sich auch morgen noch Menschen für meine Arbeiten interessieren. Aber konkrete Planungen oder Vorstellungen darüber habe ich nicht. Meine ganze bisherige Geschichte war eine einzige Aneinanderreihung von zufälligen Ereignissen, Kontakten und Begegnungen - und jede hat meine Zukunft anders beeinflusst als ursprünglich mal gedacht. Von daher habe ich es aufgegeben mir darüber Gedanken zu machen und konzentriere mich mit aller Energie auf das Jetzt und meine aktuellen Projekte.

Wo ziehst Du deine persönliche Grenze bezogen auf deine Themen? Gibt es Dinge mit denen Du dich in deiner Arbeit nicht befassen würdest?
Eine persönliche Grenze habe ich nicht. Alle Dinge, die mich beschäftigen sind für mich relevant und daher umsetzungswürdig. Falls Deine Frage auf so genannte „Tabu-Themen“ abzielt: Ich habe in meinen Arbeiten immer das allzu Direkte vermieden, wenn es z.B. um Gewaltdarstellungen oder den Tod geht. Aber nicht deswegen, weil es mir als zu provokant oder hart erschien, sondern weil ich es als zu harmlos empfinde. Wenn man sich die Wahrnehmung des Menschen anschaut, werden Bilder dann oft beständiger und gemeiner im Bewusstsein verankert, wenn der Betrachter selbst das Unheil ergänzt. Dieses Tricks bedient sich ja auch der Horror-Film seit Jahrzehnten. Echte Angst entsteht da, wo das eigene Gehirn aktiv wird und den Horror im Kopf entstehen lässt. Dort wo blutig sezierte Leiber abgebildet werden, bleibt meist nicht mehr als kurzfristiger Ekel.


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