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Edward Nightingale - Interview


Erzähl mir ein bisschen über Deinen Background – wie bist Du zum Fotografieren gekommen?
Am Anfang war Graffiti. Zunächst hab ich analog auf Film fotografiert. Eigentlich immer nur die Panels, um keine Gesichter drauf zu haben und um Film zu sparen, denn ich musste die Kamera immer zu mehreren Aktionen mitnehmen. Die digitale Technik hat mir den Weg geebnet.

Wie hat die Digitaltechnik deine Arbeit verändert?
Als die digitale Fotografie mit den Speicherkarten aufkam, sah plötzlich alles anders aus. Man hatte immer eine leere Karte dabei und war in der Bilderzahl nicht mehr eingeschränkt. Zuerst kamen dann die Standard - Posingfotos dazu, aber das wurde mir schnell zu langweilig. Bei den Panelfotos hat mir vor allem immer die Atmosphäre gefehlt. Die Bilder konnten das Gefühl bei der Aktion einfach nicht rüberbringen. Man hat zwar die Erinnerung, aber das ist etwas ganz anderes.

Wie bist Du dann zu dem Punkt gelangt, an dem Du Dich entschieden hast, nicht mehr selbst zu malen, sondern nur noch zu fotografieren.
Ich habe einfach immer mehr Fotos gemacht neben dem Malen, weil ich die Atmosphäre einfangen wollte. Außerdem hatten wir ein Ritual: Nach dem Malen sind wir zu mir, um die Fotos anzuschauen und Spliffs zu rauchen. Mir ist dann häufiger aufgefallen, dass meine Panels ziemlich hässlich waren, meine Fotos aber immer mehr das zeigen konnten, was ich gesehen habe und ausdrücken wollte. Mit meinen Panels war ich also unzufrieden und ich wollte gleichzeitig mehr Bilder machen. Außerdem hat bei meinen Aktions-Fotos immer etwas gefehlt, und zwar der Zeitraum, während dem ich mit meinem Panel beschäftigt war. Irgendwann hab ich angefangen, auch mitzugehen, nur um Fotos zu machen. Ein schleichender Prozess. Dass ich dann irgendwann die Entscheidung getroffen habe, nur noch zu fotografieren, hab ich bis heute nicht bereut.

Du bist jetzt also ausschließlich Fotograf. Ist es Dir wichtig, dass Du Dich beim Fotografieren dennoch ebenso in der Illegalität bewegst, als wenn Du selbst aktiv wärst, oder ist das ein notwendiges Übel?
Der Kick gehört für mich nicht dazu – für mich geht es nur um den Kick! Damit meine ich nicht die Illegalität, sondern die Atmosphäre und das Gefühl. Klar, ohne die Illegalität wären beide nicht da, das gehört fest zusammen. Die Angst im Tunnel kommt ja nicht, weil da ein Monster sein könnte, sondern weil man nicht gebustet werden will. Die Angst bestimmt beim Graffiti das Handeln und die Adrenalin-Ausschüttung. Dieses Gefühl treibt auch mich an. Dazu kommt, dass man diese Orte und diese Atmosphäre als Nicht-Writer nie zu Gesicht bekommt oder nicht so wahrnimmt.

Wen möchtest Du mit Deinen Bildern erreichen? Die Szene selbst oder gerade die Außenstehenden?
Es geht mir nur um die Szene. Außenstehenden gefallen die Bilder zwar, aber wie sich das anfühlt, werden sie nie verstehen können. Ich bin kein Botschafter. Allerdings ist auch die Graffiti-Szene kein besonders aufnahmebereiter Haufen. Will man sich nur Respekt verdienen, sollte man gleich aufhören. Im Endeffekt mache ich die Bilder für mich und meine Freunde. Um diese geilen Locations, durch die man sich da bewegt, mal richtig wahrnehmen zu können. Denn in dem Moment, in dem man dort ist, hat man ja meist keine Zeit, sie zu genießen.

Du sagst, Außenstehende können die Situation nicht nachfühlen. Aber geben nicht gerade Bilder wie Deine am ehesten einen Eindruck von Atmosphäre und Adrenalin?
Wenn wir uns Bilder ansehen von James Nachtwey oder Robert Kappa, wenn wir die im Krieg Getöteten sehen oder die Landung der Alliierten, dann erhalten wir einen Eindruck davon, wie grausam Krieg ist. Aber wir werden nie nachvollziehen können, wie es ist, mit Todesangst im Sand zu liegen, während um Dich herum die Leute abgeschlachtet werden. Das wird kein Bild der Welt zeigen können. Auch wenn der Vergleich zwischen Krieg und Graffiti sicherlich hinkt, gibt es nun mal Situationen und Gefühle, die man nur nachvollziehen kann, wenn man sie selbst erlebt. Wenn ich jetzt behaupten würde, ich könnte durch meine Bilder solche Gefühle transportieren, dann könnte ich mir selbst nicht mehr in die Augen schauen. Denn ich weiß genau, dass das nicht geht.

Du hast gerade selbst den Vergleich zur Kriegsfotografie gezogen. Reizen Dich andere Themen oder siehst Du Dich als Graffiti-Fotograf?
Fotografie reizt mich sehr. Mein Beruf liegt in der Fotoindustrie und ich fotografiere auch andere Sachen gerne, hauptsächlich Landschaften. Aber ich will das einfach trennen. Graffiti und die Graffiti-Fotografie stehen auf einem ganz eigenen Blatt, das ich damit nicht mischen möchte, um mir das spezielle Gefühl zu erhalten. Der Eddie ist einfach ein Alter Ego von mir, das ich nicht loslassen möchte, das aber in meinem regulären Leben auch keinen Platz hat.

Was motiviert Dich dazu, das zu tun, was Du tust?
Es ist geil – jedes Mal aufs Neue. Es ist meine Droge. Diese unplanbare und spontane Art der Fotografie kommt sonst in meinem Leben nicht vor. Du weißt nie, was Dich erwartet oder ob Du die Bilder bekommst, die Du möchtest. Du erlebst einfach unglaublich geile Sachen mit unglaublich netten Menschen.

Ist Dir das Erlebnis wichtiger als die Fotos, die Du davon mitbringst?
Nein. Eine Aktion kann noch so geil sein. Wenn die Fotos Müll sind, bin ich auf jeden Fall enttäuscht. Fotos und Aktion sind ineinander verschachtelt und nicht zu trennen.

Wie hat Dich das Fotografieren in grenzwertigen Situationen beeinflusst?
Zunächst einmal hat mir Fotografie gezeigt, dass es auch noch anderen Dinge im Leben gibt – zu einem Zeitpunkt, als es eigentlich nur Graffiti für mich gab.

Hast Du also nun einen anderen Blick auf die Dinge als zu der Zeit, als Du noch aktiver Writer warst? Was hat sich verändert, als Du vom Täter zum Beobachter wurdest?
Ehrlich gesagt fühle ich mich immer noch eher als Täter, denn als Beobachter. Im letzten Urlaub war ich derjenige, der gequengelt hat, endlich das nächste Yard anzusteuern, statt eine Flasche Rotwein zu trinken – oder wenigstens beides zu machen. Ich laufe auch nicht einfach stumpf hinterher, wenn es ums Malen geht. Vielleicht ist das Selbstverarsche, aber ich sehe mich genauso als Teil der Aktion wie die Maler. Nur dass ich kein Panel male, sondern Fotos mache. Ich habe ebenso wenig Interesse daran, gepackt zu werden.

Du bist also kein unbeteiligter Beobachter, sondern mischst Dich auch ein und hilfst?
Ja. Ist ja auch in meinem Interesse. Dem Richter ist es letztendlich scheißegal, ob ich nur daneben stand. Ich habe keinen Presseausweis. Das heißt: Mitgefangen, mitgehangen. Ich fühle mich dafür verantwortlich, meinen Teil dazu beizutragen, das alles glatt läuft. Ich verzichte dann schon mal auf ein geiles Foto und lege mich unter den Zug, um zu checken.

Welche Grenze würdest Du nicht überschreiten wollen? Entweder aus Angst oder weil Du es nicht korrekt findest?
Zunächst: Graffiti muss man als Ganzes akzeptieren – oder eben nicht. Graffiti läuft nicht nach Regeln ab, auch wenn die Szene sich paradoxerweise immer wieder selbst welche auferlegt. Wenn jetzt aber irgendwelche Jungs nur aus Spaß den Checker vermöbeln wollen, dann hab ich da keinen Bock drauf. Aber das hat dann auch mit Graffiti nichts mehr zu tun, das ist stumpfe Gewalt. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich mich frage, ob das zu weit geht oder was ich da eigentlich gerade mache.

Kannst Du ein Beispiel dafür nennen?
Wenn man in Madrid erst einen Zaun aufbricht und dann 25 Meter unter den Kameras hindurch über den Boden robbt. Wenn man dann in einer Ecke eine Viertelstunde wartet, ob die Security dich nicht doch bemerkt hat. Und wenn der einzige Fluchtweg bedeuten würde, über einen Drei-Meter-Stacheldrahtzaun zu klettern. Da fragt man sich schon, ob das jetzt sinnvoll ist oder nicht. Eine Viertelstunde lang, um genau zu sein. Aber im Nachhinein ist es ein extrem angenehmes Gefühl, so etwas mitgemacht zu haben. Vielleicht ist es ein bisschen wie Extremsport. Das Ausloten der eigenen Grenzen.

Wie wichtig ist das für Dich?
Graffiti ist die letzte Bastion, das letzte Bollwerk gegen das Erwachsenwerden. Etwas nicht gesellschaftskonformes, das ich mir einfach herausnehme ohne logische Rechtfertigung. Denn das bedeutet Erwachsensein für mich: Alles muss einer Logik folgen oder zu rechtfertigen zu sein. Graffiti widersetzt sich dem. Das macht es so schön. Nicht die Bilder, sondern die damit einhergehende Mentalität. Graffiti ist das letzte bisschen fuck you, das ich noch habe. Daran werde ich festhalten, bis ich im Rollstuhl auf einer Draisine durch die Yards rollen muss.


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